Kapitel 10: Ausgesetzt und aufgenommen
Am nächsten Morgen stand Nek zeitig auf und überlegte, wie er Stella schonend beibringen konnte, dass nicht sie die richtige für ihn war, sondern Jona. Er überlegte hin und her, aber keine Idee überzeugte ihn so richtig. Schließlich beschloss er, es ihr einfach direkt geradeheraus zu sagen und zu hoffen, ihre Wut würde nicht zu groß sein. Es war einfach das einfachste und beste, was ihm einfiel; um den heißen Brei herumzureden würde wenig nützen und Stella vermutlich nur noch mehr in Rage versetzen.
Also wartete er darauf, dass Stella aufwachte.
Schon bald wachte sie tatsächlich auf. Nachdem sie sich angezogen und frisiert hatte, kam sie zu ihm. Noch war sie ahnungslos.
Nek gab sich einen Ruck. Er begann: "Stella, ich..."
Stella sah seinen Gesichtsausdruck und merkte sofort, dass es nicht sehr angenehm sein würde. Sie stemmte die Hände in die Hüften, musterte Nek scharf und sagte spitz: "Was ist?"
Nek wich ihrem bohrenden Blick aus und senkte den Kopf, um ihr nicht in die Augen schauen zu müssen. "Ich habe gestern gemerkt, dass... dass wir doch nicht passen..."
Stella schnappte nach Luft. "Und wer passt zu dir? Wer?! Sag!"
"Jona", murmelte Nek, der die Wut in Stella schon förmlich heraufsteigen spürte. Sie brodelte und brodelte und hatte jetzt schon ihren Kopf erreicht und auch erfolgreich erhitzt und zum Kochen gebracht.
"Aha, Jona also!", blaffte Stella.
Nek machte sich so klein wie möglich und kniff seine Augen verkrampft zusammen. Er musste das jetzt durchstehen, denn es gab kein Entrinnen mehr. Es fiel ihm nichts ein, was er sagen könnte, also schwieg er angespannt. Er hätte aber auch nichts sagen können, denn Stella hätte ihn nicht reden gelassen.
"Du bist so ein dummes Drecksschwein!", schrie sie und ohrfeigte Nek.
Nek riss die Augen instinktiv auf... Um sie dann schmerzverzerrt wieder zusammenzukneifen.
"Recht so!", rief Stella und gab Nek triumphierend noch eine zweite Ohrfeige.
Am liebsten wäre Nek feige davongerannt, aber der Schmerz war einfach so groß, dass er sich nicht vom Fleck rühren konnte und wie gefesselt (und geknebelt) sitzen bleiben musste. Seine Bewegungsunfähigkeit war Stella übrigens von großem Nutzen, denn so hatte sie die Gelegenheit, Nek ungehindert noch eine dritte noch saftigere Backpfeife zu verpassen. Tatsächlich war sie so saftig, dass Nek schon blutete.
Noch wehrloser und verkrampfter kniff er seine Augen noch fester zusammen. Er wäre jetzt am allerliebsten einfach kurz und schmerzlos gestorben und im Boden eingesackt, als noch länger dieses schrecklich ungewisse Gefühl aushalten zu müssen, dass Stella ihn jederzeit noch mehr ohrfeigen konnte.
"Du warst schon immer so, du dumme Kuh!", schrie Stella. "Du warst in Judith verliebt, jetzt bist du in Jona... Wetten, mich magst du nicht einen Millimeter?! Ich würde dich jetzt so gerne durch das ganze Zimmer schleudern und tausendmal auf den Kopf hauen! Nek!"
Noch schlimmer als die Ohrfeigen fand Nek Stellas Standpauken, die sie ihm auch wirklich immer hielt, wenn sie wütend war. Und so selten war das gar nicht.
In diesem Moment wünschte sich Nek nichts sehnlicher, als endlich zu sterben.
Stella machte eine kurze Pause, dann verpasste sie Nek noch die vierte Ohrfeige und schrie: "Es ist Schluss!"
Mit letzter Kraft trottete Nek mit blutverschmiertem Gesicht und überall schmerzend hinaus.
Stella krachte wütend die Tür zu. Als Nek aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, rannte sie zu Marie, Zoe, Franziska, Malu und Sari. Matej war auch in dem Hotelzimmer, aber ihn beachtete Stella nicht. Sie erzählte ihren Freundinnen alles, wie es von ihrer Sicht aus war. Als ihre erste Wut verflogen war und sie eher nur noch aufgewühlt war, verließ sie das Zimmer wieder und schloss sich in ihrem eigenen Hotelzimmer ein.
Matej, der Stella nicht verstanden hatte, weil sie auf deutsch geredet hatte, fragte Marie auf englisch, was Stella gesagt hatte.
Marie erklärte es ihm natürlich.
Als Matej alles verarbeitet hatte, schmunzelte er Marie kurz an und sagte, dass das zwischen ihnen nie vorfallen würde.
Marie stimmte ihm zu. Die beiden gingen zum Strand.
Die letzten Maitage gingen zu Ende und der Juni rückte immer näher. Schließlich kam der erste Juni. Für Zarah und Nandre in Deutschland war er ein großer Tag. Die Ärzte hatten nämlich gesagt, dass an diesem Tag, dem ersten Juni, Zarahs und Nandres Baby auf die Welt kommen würde. Allerdings kam es entgegen den Erwartungen so, dass der kleine Säugling erst am Tag danach auf die Welt kam. Es war ein Mädchen und Zarah und Nandre nannten es Sunny. Zuerst freuten sie sich riesig über die kleine Sunny, aber schon am darauf folgenden Tag merkten sie, dass sie sich viel zu wenig darüber informiert hatten, wie man mit Babys umgeht. Sie waren überfordert, wenn Sunny gluckste, gestresst, wenn sie weinte und genervt, wenn sie schrie. Am nächsten Tag stellten sie noch etwas fest: Sie wollten keine Zeit mit Sunny verbringen. Das war einer der Höhepunkte ihrer Bösartigkeit! Sie wollten ihre Zeit nur mit Hypnose-Shows, Morden wie bei Louise Constanze Kaiser und Besuchen bei Klaus Fischers Mafia verbringen, nicht mit Sunny. Ihre erste Lösung war, Sunny in die Krippe zu schicken. So gewannen sie schon wieder viel Zeit und konnten sich wieder ihren alltäglichen schlechten Beschäftigungen widmen. Wenn Sunny nachts nicht einschlafen konnte, weil sie zu Zarah wollte und sich allein in ihrem stillen Zimmer unsicher fühlte, kam entweder Zarah und brachte ihr genervt ihren Kuschelteddy, oder Nandre schlug einfach die Tür zu, damit sie Sunnys Schreien nicht mehr hören mussten.
Übrigens waren Zarah und Nandre und Lina, Julia und Mark inzwischen nicht mehr allein in Deutschland, denn Paula, Eva, Maria und Min-Jun hatten ihren Bahamas-Urlaub verfrüht abgebrochen und waren nach Deutschland zurückgekehrt.
Paula hatte Bobby wieder bei ihrer Freundin Derya Saka abgeholt. Deryas Tochter Fatma hatte Bobby erstmal behalten wollen, aber dann schließlich doch murrend nachgegeben.
Schon bald konnten Zarah und Nandre es schon gar nicht mehr ertragen, dass Sunny im Haus war. In ihrer Wut setzten sie sie irgendwo bei den alten WGs beim Abgrund aus und hofften, dass jemand sie adoptierte, wenn sie nicht herunterfiel und starb. Dann vergaßen sie Sunny einfach und machten bei Klaus Fischers Mafia mit.
Paula, Eva und Maria entdeckten Sunny sofort und nahmen sie auf. Sunny spielte gerne mit Bob und Bobby und hatte großen Spaß mit ihnen. Maria war geradezu besessen davon, für Sunny niedliche Babykleidung zu kaufen. Sie kaufte sogar für sie noch mehr Sachen als für sich. Das Problem war, dass sie so Schulden bei Paula und Min-Jun machte. Eva hielt sich da raus, weil sie das ganze total peinlich fand.
In den Bahamas kam gerade auf Tanjas Handy eine Nachricht von Isabella an. Sie schrieb, wer will könne bald mal nach Kasachstan und zuschauen, wie ihre Brüder sie einem Wildheits-Test unterzogen. Sie wisse übrigens noch nicht ganz genau, wie er abliefe, er wäre aber wahrscheinlich ein bisschen brutal. Außerdem müssen sie, so schrieb sie, nicht klatschen.
Tanja zeigte die Nachricht herum, obwohl sie eigentlich nicht vorhatte, noch sehr viel mit Isabella zu tun zu haben und ein paar Hotelbewohnerinnen und Hotelbewohner wollten tatsächlich zugucken. Ehe sie es sich versahen, saßen bald darauf Tanja, Marlen, Tom, Marie, Matej, Sari, Malu, Evita und Aisulu (Isabellas kleine Schwester) im Flugzeug nach London. Als sie nach ungefähr sieben Stunden in London ankamen, schloss sich ihnen Lina an, die aus Deutschland gekommen war. Sie sagte, dass sie nach dem Test von Isabella einfach in Asien bleiben und nach China fliegen würde, was ja sowieso ihr Ziel war.
Evita hatte eigentlich keine Ahnung über Kasachstan und sehr viel zu tun hatte sie mit Isabella auch nicht wirklich, aber sie wollte sich mit diesem komischen brutalen 'Wildheitstest' von Meti ablenken, die so weit weg von ihr irgendwo im tiefsten Dschungel in Sumatra ihren alten kranken Eltern half, einen kaputten kleinen Kiosk zu retten.
Tom und Marlen hatten die kleine Dina in den Bahamas gelassen, da der eigentümliche Test womöglich zu brutal für das kleine Baby sein könnte.
Von London aus ging der Flug nach Astana, in die Hauptstadt Kasachstans. In diesem Flugzeug waren Tanja, Marlen, Tom, Marie, Matej, Lina, Sari, Malu, Evita und Aisulu Passagiere. Schließlich landete das Flugzeug in Astana und sie liefen die Gangway hinunter. Im Flughafen wurden sie von Arman Zharkylsynsyn, Isabellas ältestem Bruder, abgeholt. Er fuhr sie mit seinem etwas klapprigen Auto eine Landstraße entlang aus Astana raus und in die kasachische Steppe. Irgendwann parkte er das Auto und sie stiegen vor einer großen Jurte, aus der Stimmen drangen, aus. Arman ging in die Jurte hinein und gab ein paar knappe Anweisungen auf Kasachisch. Dann trat er noch einmal heraus und sagte den Zuschauern auf englisch, sie sollen einen Kreis bilden. Er ging wieder in die Jurte hinein und gab wieder Anweisungen. Isabella kam mit ihrem jüngsten Bruder, Burkit Adilet Zharkylsynsyn heraus. Sie stellten sich in den Kreis und sahen sich um. Beide schienen nicht nervös zu sein.
"Ihr seht Isabella jetzt ein letztes Mal so, wie sie jetzt ist", sagte Burkit schließlich auf englisch. Isabella war nämlich die einzige Zharkylsynsyn, die Deutsch konnte.
Beibut Zharkylsynsyn, der jünger als Arman und älter als Isabella war, kam zu ihnen und ergänzte: "Wir verändern sie jetzt nämlich."
Tanja fiel auf, dass alle drei Brüder, Arman Saule Zharkylsynsyn, Beibut Dosjan Zharkylsynsyn und Burkit Adilet Zharkylsynsyn, auf ihre eigene Weise sehr wild aussahen. Arman, weil er so groß und stämmig war und einen wilden, zottigen, schwarzen Vollbart hatte, Beibut, weil er klein und breit und kantig war und einen großen mongolischen Schnurrbart sowie schmale Augen hatte und Burkit, weil er lange, hinten zu einem unordentlichen Dutt gebundene Haare hatte, eine sehr traditionell aussehende Schärpe trug (auch wenn nur für diesen Anlass) und Beibuts dunkelbraune, kleine, asiatische Augen hatte. Isabella sah ihren Brüdern ziemlich ähnlich. Ihr pechschwarzes, nur bis zu den Achseln reichendes Haar war genauso zerzaust wie das kurze Haar ihrer drei stämmigen, breitschultrigen Brüder Arman Saule, Beibut Dosjan und Burkit Adilet, ihre schuppige Haut war genauso windgegerbt und von Muttermalen übersät, sie hatte die kurzen, robusten Beine von Beibut und Burkit, sie trug traditionelle Kleidung, die bald so zerschlissen sein würde wie Armans Schürze, die er trug, weil er in einem kasachischen Restaurant als Koch arbeitete, und sie hatte Beibuts und Burkits schmale kleine braune Augen, die schärfer waren als manch ein anderes. Arman Saule, Beibut Dosjan, Isabella Lyazzat und Burkit Adilet Zharkylsynsyn sah man an, dass sie Geschwister waren. Doch Aisulu Natalya Zharkylsynsyn war ganz anders. Sie war zwar eine Zharkylsynsyn, aber sie war hochgewachsen und schlank, hatte den Körperbau einer Europäerin, war, anders als ihre Brüder und ihre Schwester, hübsch und mit zwar braunen, aber großen und von langen schwarzen Wimpern umrandeten Augen, hatte lange, lockige, gefärbte Haare und als einzige eine helle, nicht raue, geschminkte Haut. An ihren Armen klimperten Armreife, ihre Fingernägel glitzerten vor Nagellack, sie trug stylische, westliche Kleidung und ihre Lippen waren voller und röter als Isabellas, Armans, Beibuts und Burkits.
Der erste Teil des Tests war, dass Burkit Isabellas zottelige Haare mit einem Messer schräg abschnitt. Währenddessen schwor sie, dass sie sich nie, nicht einmal wenn sie tot war, von alleine die Haare färben, gelen oder lockig machen würde. Beibut zerschnitt das schwarze Bündel und schmiss es in einen großen, scheppernden Topf. Dann kochte und zermörserte er die abgeschnittenen Haare gemeinsam mit Arman zu Brühe. So zeigten sie, dass sie gute, erfahrene Köche waren und dass Isabella ihr Aussehen nicht sehr wichtig war. Sie boten sogar den Zuschauern an, den schwarzen Haarbrei zu essen, aber alle lehnten ab. Also fuhren sie mit der seltsamen Zeremonie fort. Alle drei Brüder bewaffneten sich mit Messern und Schlamm. Sie stellten sich um Isabella herum auf und fingen an, sie mit dem Matsch zu bewerfen. Sie bekam sogar aus Versehen einen Matschklumpen in den Mund, spuckte ihn aber wieder aus.
Marie filmte die Szene mit Matejs Handy.
Dann begannen Arman, Beibut und Burkit, Isabella mit den Messern zu schneiden. Plötzlich war das orangene Kleid mit dem dunkelroten Band um den Bauch, das Tanja so oft an Isabella gesehen hatte, zerschlissen, die braunen Stiefel, die Isabella immer getragen hatte, matschig und keine Stiefel mehr und Isabellas Gesicht, das Tanja so gut gekannt hatte, ein anderes, blutverschmiertes. Spätestens jetzt wussten alle ganz genau, was Isabella mit "ein bisschen brutal" gemeint hatte. Und natürlich klatschte auch keiner, davon hatte sie in der E-Mail ja auch geschrieben.
Marlen schnäuzte sich geräuschvoll in ihr Taschentuch und wischte sich mit dem Ärmel ihres Kleids über die Augen.
Tanja starrte auf Isabella. Sie war völlig steif und unbeweglich. Beibut hatte Recht gehabt, sie hatten Isabella binnen kurzer Zeit extrem verändert.
Aisulu drehte den Kopf weg. Dass ihre eigene leibliche Schwester ihrem Körper, der ja ein Teil von ihr war, so etwas antat, also wirklich! Das ging zu weit.
Marie und Matej zuckten angewidert mit den Nasen, warfen einander Blicke zu und flüsterten.
Tom sagte immer wieder leise zu Marlen: "Gut, dass wir Dina nicht mitgenommen haben."
Malu und Sari kommentierten die Szene mit Wörtern wie: "Boah!", "Krass!", "Echt!", "Mann!", "Oh!" oder "Ah!"
Evita hustete.
Lina scrollte gelangweilt auf ihrem Handy herum, um nicht hingucken zu müssen. Als Tanja zufällig zu ihr schaute, steckte sie das Handy schnell weg.
Inzwischen hatten Arman, Beibut und Burkit aufgehört, Isabella zu schneiden. Später würde sie bestimmt viele blutige Narben haben. Aisulu war der Ansicht, ihre Eltern müssten einen großen Fehler damit gemacht haben, Isabella Isabella zu nennen, den schön war sie jetzt wirklich nicht mehr. Da war sie schon noch viel mehr Lyazzat. Das traf nun wirklich besser zu. Das bedeutete nämlich "Freude", "Glück" oder "Die freundliche Frau". Arman, Beibut und Burkit gaben ihr eine abgewetzte kasachische Flagge. Isabella ging ein Stück weiter in die Steppe und rammte die Flagge dort in eine Mulde. Sie hatte ihren kasachischen Pass zwar nie abgegeben und immer die kasachische Staatsbürgerschaft behalten, aber jetzt war es trotzdem irgendwie so, als wäre sie erst jetzt zur Kasachin geworden. Zu der Kasachin, die sie auch als Kind gewesen war, bevor sie die ganzen anderen kennenlernte, studierte, die WG mit Tanja und auch Marlen gründete, auf Reisen mitkam, nach Deutschland zog und sich allem in allem ihr ganzes Leben veränderte. Aber jetzt war sie wieder die kasachische Isabella, die sie davor gewesen war. Die kasachische Isabella, die ihren Brüdern viel ähnlicher war als ihrer Schwester, die eine windgegerbte Haut und zottige Haare hatte, die die Steppe, die ihre Heimat war, liebte und die immer mit ihren drei Brüdern spielte oder ihnen bei ihren Beschäftigungen zusah. Wie Arman und Beibut Tiere schlachteten und kochten und wie Burkit mit seinem Falken Jagd auf diese Tiere machte, damit erstere sie schlachten konnten. Ihre robusten Brüder waren den Anblick von Blut gewohnt. Jetzt würde sie wieder so sein! Sie stand eine Weile an diesem Ort und merkte, dass ein kühler russischer Wind über sie hinwegblies und ihre Haare wehen, ihr Blut fließen und ihre Lumpen flattern ließ.
Arman und Beibut stellten sich neben sie und auch sie waren kasachischer, als sie vorher waren. Sie sagten ein paar Sachen auf kasachisch, dass Isabella jetzt eine von ihnen sei oder so ähnliches. Auf die andere Seite neben Isabella stellte sich Burkit. Einen Moment lang suchte er mit seinen Augen in der Ferne seinen Falken, mit dem er als Kind und Jugendlicher gejagt hatte. Aber er hatte ihn nicht mehr, seit er erwachsen war. Dann suchten seine Augen den Horizont nach einer Frau ab, die halb aus Kasachstan, halb aus Turkmenistan kam. Sie war früher mit ihm zusammen gewesen, aber alles hatte sich geändert und wenn sie nicht schon gestorben wäre, wäre sie im Gefängsnis gestorben. Ihre Mutter war eine Turkmenin und ihr Vater ein Kasache gewesen, aber sie hatte ihre Mutter nie gut gekannt, weil sie immer nur bei ihrem Vater gewesen war. Er hatte einen ungesunden Lebensstil geführt, viele Schulden gemacht, sich nie um sie gekümmert, viel getrunken, immer bis in die Nacht gearbeitet und war schließlich gestorben, als sie gerade einmal ins Gymnasium kam. Alle Mitschüler hatten sie immer gehasst und der erste Mensch, der sie verstand, war Burkit Adilet Zharkylsynsyn, Isabellas jüngster Bruder. Sie war älter gewesen als er und er verstand bis heute nicht, warum er sie geliebt hatte. Vielleicht, weil sie so anders war als alle anderen. Bettelarm, ungesprächig, ohne Führerschein, unhygienisch, kriminell, verhasst, nicht gerade schön, unfreundlich und psychisch gestört. Er hatte mit Freude die Schulden bezahlt, die ihr früh gestorbener Vater ihr hinterlassen hatte und konnte nie begreifen, warum alle sie hassten, bis er es am Tag, an dem er sie zum letzten Mal sah, am eigenen Leib zu spüren bekam. Es war ein Moment gewesen, den er nie vergessen würde und ihm bis heute Albträume bereitete. Er hatte sich nach ihr umgedreht und gesehen, dass sie gerade ein Küchenmesser nach seinem Nacken schwang. Er würde nie erfahren, warum sie ihn hatte umbringen wollen, aber ab diesem Moment hatte er sie gehasst. Ehe er sie hätte fragen können, rannte sie davon, stahl ein Auto und fuhr sich mit Vollgas in den Tod.
Schließlich trat Aisulu neben Burkit und somit waren alle Geschwister zusammen. Aisulus lockige, gefärbte Haare wehten noch mehr als Isabellas, weil sie länger waren. Dann fielen sie wieder auf ihre Schultern herab, weil der Wind aufgehört hatte, über ihre Köpfe hinwegzublasen und einsam in den Norden zurückkehrte, aus dem er gekommen war. So fiel jeder russische Einfluss, unter dem sie vielleicht gestanden hatten, von ihnen ab und eine Welle der stärksten Verbundenheit, die sie je zu ihrer Heimat Kasachstan gespürt hatten, durchflutete die Geschwister.
Bald darauf flogen Tanja, Marlen, Tom, Marie, Matej, Malu, Sari, Evita und Lina wieder ab. Aisulu, Isabella und Arman, Beibut und Burkit blieben in Kasachstan.
Im Flughafen von Astana trennte sich Lina von den anderen und stellte sich in die Warteschlange vom Flug nach Peking. Die anderen reihten sich in die Schlange für den Flug nach London ein. In London trafen sie auf Greta, Christina und Jona, die sie dort abholen und mit ihnen gemeinsam fliegen wollten. Greta und Christina waren übrigens wieder topfit und konnten einwandfrei gehen. Jona schien irgendwie geistesabwesend.
In Deutschland war übrigens inzwischen herausgekommen, dass Zarah und Nandre Schuhmacher hypnotische Kräfte besaßen und allerlei Missetaten oder Verbrechen begangen hatten. Sie hatten weder die Zeit gehabt, sich mit ihren Schlangen aus dem Staub zu machen und ins Exil zu flüchten, noch den Mut besessen, mit Hilfe ihrer hypnotischen Kräfte gegen die Polizei anzukämpfen. Deshalb hatten sie einfach zugegeben, dass sie über die Kraft der Hypnose verfügten, illegal Schlangen für Hypnose-Shows aus Naturschutzgebieten haben mitgehen lassen, ihr eigenes Kind Sunny Schuhmacher vor einem Abgrund ausgesetzt haben, reiche Menschen wie Louise Constanze Kaiser verführt und ermordet haben, um dann an das Geld zu kommen und Mitglieder einer der größten Mafias im Umfeld, nämlich in Klaus Fischers Mafia, gewesen zu sein. Nachdem sie all das gestanden hatten, wurden ihre hypnotischen Zigarren vernichtet, die Schlangen in ihre Naturschutz-Reservate zurückgebracht, ihr nicht auf ehrliche Weise erarbeitetes Geld weggenommen, Klaus Fischer und seine Mafia-Mitglieder unverzüglich verhaftet und Paula, Eva, Maria und Min-Jun ausfindig gemacht, weil sie Sunny aufgenommen hatten.
Als Paula, Eva, Maria und Min-Jun mit Bobby und Bob, die übrigens inzwischen gute Freunde waren, das Polizeirevier betraten, fingen sie sofort an zu reden. Zuerst redete Paula von den großen Kosten, die es beanspruchte, Sunny aufgenommen zu haben. Sie hatten viel Geld für Sunnys Kleidung und Nahrung ausgeben müssen - Paula warf Maria einen Blick zu - und wären sogar fast pleite gegangen. Als Entschädigung bekamen Paula, Eva, Maria und Min-Jun von den Polizisten eine Summe, die früher Zarah und Nandre ihr Eigen genannt hätten.
Während dem Flug nach Nassau hatte Tanja äußerst schlechte Laune. Der Grund dafür war ein Foto, das ihr Aloscha zu der Nachricht Viele Grüße aus Moskau, Aloscha und Natscha 😈😆 geschickt hatte. Darauf sah man ihn und seine alt-neue Freundin Natascha. Und wer war diese Natascha wohl? Tanjas Mutter! Natascha Zibirskaja! Wladimir Zibirskovs Frau!
Inzwischen waren Makayla Hamilton und Amethyst Weber in den Bahamas angekommen. Übrigens brachten sie noch zwei Freundinnen von Makayla mit. Die hießen Nana Kapali und Bilen Abebe und freundeten sich sofort mit Zoe Williams, Franziska Müller, Marie Schmidt, Matej Smith, Sari Zhang, Malu Tetuanui und Stella Sanchez an. Leider passten sie dadurch, dass sie so viele waren, nicht mehr alle in das Hotelzimmer rein. Marie und Matej mieteten sofort spontan ein größeres und sie zogen innerhalb des Hotels um.
Nana Kapali kam aus Nepal und sprach Deutsch. Sie hatte dunkelbraune Haare, milchkaffeebraune Haut und schwarzbraune Augen.
Bilen Abebe hatte lila-blau gefärbte Haare und kam aus Äthiopien. Marie war natürlich ganz begeistert und wollte alles über die beiden wissen...
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